Anamnese – Die Grundlage jeder ärztlichen Diagnose
Die Anamnese bildet den ersten und wichtigsten Schritt in der ärztlichen Kommunikation. Im Rahmen der Fachsprachprüfung (FSP) wird erwartet, dass Ärztinnen und Ärzte ein vollständiges, strukturiertes und sprachlich korrektes Anamnesegespräch führen können – auf hohem sprachlichen Niveau (C1).
Ziel des Anamnesegesprächs ist es, die Krankengeschichte des Patienten zu erfassen. Dabei geht es nicht nur um Symptome, sondern auch um Vorerkrankungen, aktuelle Beschwerden, Medikamente, soziale Hintergründe und viele weitere Aspekte. Das Gespräch soll professionell, empathisch und verständlich gestaltet sein.
In der FSP wird großer Wert auf folgende Kompetenzen gelegt:
- Strukturierter Gesprächsaufbau (von Begrüßung bis Zusammenfassung)
- Fachsprachlich korrekte und patientenverständliche Ausdrucksweise
- Gezielte Nachfragen und sinnvolle Rückversicherungen
- Angemessene Reaktion auf emotionale oder unsichere Patienten
Auf dieser Seite lernst du, wie ein professionelles Anamnesegespräch aufgebaut ist, welche Redemittel du verwenden kannst und wie du dich optimal auf die FSP vorbereitest. Zahlreiche Übungen, Musterdialoge und Formulierungshilfen helfen dir dabei, sicher und kompetent zu kommunizieren.
Struktur und Ablauf eines professionellen Anamnesegesprächs
Ein vollständiges Anamnesegespräch folgt in der Regel einer klaren Struktur. Diese hilft dabei, systematisch alle relevanten Informationen zu erfassen und gleichzeitig eine vertrauensvolle Gesprächsatmosphäre zu schaffen. In der Fachsprachprüfung (FSP) wird erwartet, dass du diesen Aufbau sicher beherrschst und sprachlich klar umsetzen kannst.
1. Begrüßung und Gesprächseinleitung
Freundliche Begrüßung, Vorstellung des Arztes/der Ärztin, kurze Erklärung des Gesprächsziels.
2. Leitsymptom & aktuelle Beschwerden
Erhebung der Hauptbeschwerde: „Was führt Sie heute zu uns?“ – Beginn der symptomorientierten Anamnese (z. B. Schmerzqualität, Dauer, Lokalisation).
3. Vegetative Anamnese
Fragen zu Schlaf, Appetit, Gewichtsveränderung, Verdauung, Wasserlassen, Menstruation etc.
4. Vorerkrankungen
„Gab es in der Vergangenheit bereits ähnliche Beschwerden?“ – Chronische Krankheiten, Operationen, Krankenhausaufenthalte.
5. Medikamentenanamnese
„Nehmen Sie aktuell Medikamente ein?“ – auch Selbstmedikation, pflanzliche Mittel, Allergien.
6. Familienanamnese
Erblich relevante Erkrankungen in der Familie, z. B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Tumorerkrankungen.
7. Sozialanamnese
Beruf, Wohnsituation, familiäre Verhältnisse, Lebensstil, Suchtmittelgebrauch (Alkohol, Nikotin etc.).
8. Psychosoziale Faktoren
„Wie geht es Ihnen seelisch?“ – Stress, psychische Belastungen, Depressionen.
9. Zusammenfassung und Übergang
Zusammenfassen der wichtigsten Punkte, Ausblick auf körperliche Untersuchung und weiteres Vorgehen.
Die Reihenfolge kann je nach Situation angepasst werden. Wichtig ist ein logischer Gesprächsaufbau, aktives Zuhören und der gezielte Einsatz von medizinischer Fachsprache, ohne den Patienten sprachlich zu überfordern.
Anamnesegespräch – Standard (Hausarztpraxis)
Hinweis: Dieser Dialog eignet sich zur Vorbereitung auf ein allgemeines Anamnesegespräch bei der Fachsprachprüfung (FSP). Das Gespräch ist realitätsnah formuliert und auf C1-Niveau angelegt.
Arzt: Guten Tag, mein Name ist Dr. Schneider. Was führt Sie heute zu mir?
Patient: Hallo, ja... ich fühle mich in letzter Zeit irgendwie schlapp und müde. Ich dachte, ich lasse mich mal durchchecken.
Arzt: In Ordnung. Seit wann haben Sie denn diese Beschwerden?
Patient: Seit etwa zwei Wochen. Es wird nicht schlimmer, aber auch nicht besser.
Arzt: Gibt es noch weitere Beschwerden? Fieber, Husten, Gewichtsverlust?
Patient: Nein, nichts in der Art. Nur diese allgemeine Müdigkeit. Ich schlafe schlecht und fühle mich tagsüber oft kraftlos.
Arzt: Verstehe. Haben Sie in letzter Zeit viel Stress oder belastende Situationen gehabt?
Patient: Ja, auf der Arbeit ist gerade ziemlich viel los, und privat ist auch einiges los...
Arzt: Nehmen Sie aktuell Medikamente ein – regelmäßig oder gelegentlich?
Patient: Nur ab und zu Ibuprofen gegen Kopfschmerzen.
Arzt: Gibt es bekannte Vorerkrankungen oder Allergien?
Patient: Nein, ich bin eigentlich immer gesund gewesen.
Arzt: Rauchen oder Alkohol?
Patient: Ich rauche nicht und trinke nur gelegentlich mal ein Bier.
Arzt: Gut, ich notiere das alles. Wir machen zunächst ein Blutbild und schauen uns die Werte an. Gegebenenfalls besprechen wir dann weitere Schritte.
Patient: Alles klar, danke.
Zusatzinfo: Dieser Dialog zeigt ein strukturiertes Vorgehen mit offenen Fragen, Rückversicherung und professioneller Gesprächsführung.
Anamnesegespräch – Klinikaufnahme (Innere Medizin)
Hinweis: Dieser Dialog orientiert sich an einer typischen Patientenaufnahme im Krankenhaus. Die Sprache ist strukturiert und fachlich klar – ideal zur Vorbereitung auf die FSP.
Ärztin: Guten Tag, mein Name ist Dr. Weber. Ich bin Assistenzärztin in der Inneren Medizin. Ich werde jetzt die Aufnahme durchführen. Ist das für Sie in Ordnung?
Patientin: Ja, natürlich.
Ärztin: Was ist der Grund für Ihre heutige Vorstellung bei uns?
Patientin: Ich habe seit gestern starke Schmerzen im Oberbauch, besonders nach dem Essen.
Ärztin: Haben Sie Übelkeit, Erbrechen oder Fieber bemerkt?
Patientin: Mir ist leicht übel, aber ich habe mich nicht übergeben. Fieber habe ich nicht gemessen.
Ärztin: Gibt es bekannte Vorerkrankungen, zum Beispiel im Magen-Darm-Trakt?
Patientin: Ich hatte vor einigen Jahren mal eine Gastritis, aber sonst nichts.
Ärztin: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein?
Patientin: Nur Omeprazol, wenn der Magen drückt.
Ärztin: Haben Sie Allergien, z. B. gegen Medikamente oder Lebensmittel?
Patientin: Nein, keine bekannten Allergien.
Ärztin: Rauchen oder Alkohol?
Patientin: Ich rauche nicht. Alkohol selten, vielleicht ein Glas Wein pro Woche.
Ärztin: Gut. Ich werde nun noch eine körperliche Untersuchung durchführen und dann besprechen wir das weitere Vorgehen. Wahrscheinlich machen wir heute noch eine Sonographie und Blutabnahme.
Patientin: Okay, danke schön.
Zusatzinfo: In der Klinik ist eine strukturierte, effiziente Gesprächsführung gefragt – mit klaren, geschlossenen und gezielten Fragen.
Anamnesegespräch – Luftnot / Dyspnoe (Notaufnahme)
Hinweis: Dieses Gespräch behandelt einen häufigen Notfallgrund: akute Atemnot. Die Wortwahl ist realistisch, medizinisch korrekt und auf FSP-Niveau (C1).
Arzt: Guten Abend, mein Name ist Dr. Seidel. Ich bin Notfallmediziner. Können Sie mir bitte sagen, was passiert ist?
Patient: Ich habe seit heute Morgen starke Atemnot. Es ist schlimmer geworden, ich bekomme kaum noch Luft.
Arzt: Ist die Luftnot plötzlich aufgetreten oder haben Sie schon länger damit Probleme?
Patient: Ich hatte in den letzten Wochen schon beim Treppensteigen Probleme, aber heute war es plötzlich ganz schlimm.
Arzt: Haben Sie Schmerzen in der Brust, Husten oder Fieber bemerkt?
Patient: Ich habe trockenen Husten und fühle mich schwach. Kein Fieber, soweit ich weiß.
Arzt: Haben Sie eine bekannte Herz- oder Lungenerkrankung?
Patient: Ich habe seit Jahren Bluthochdruck, aber keine Lungenkrankheit – zumindest nicht, dass ich wüsste.
Arzt: Nehmen Sie Medikamente ein – zum Beispiel einen Betablocker oder ACE-Hemmer?
Patient: Ja, ich nehme täglich Ramipril 5 mg.
Arzt: Haben Sie sich heute körperlich angestrengt?
Patient: Nein, ich war nur zu Hause. Plötzlich wurde mir schwindelig, und die Luft war weg.
Arzt: In Ordnung. Wir werden jetzt ein EKG schreiben, Blut abnehmen und eine Röntgenaufnahme vom Thorax machen. Bitte versuchen Sie ruhig zu atmen.
Patient: Danke. Ich habe echt Angst, dass es was mit dem Herzen ist.
Zusatzinfo: Bei Dyspnoe ist es wichtig, schnell zu handeln – aber trotzdem ruhig, strukturiert und empathisch zu kommunizieren. Patienten sind oft panisch, daher ist eine klare Sprache entscheidend.
Anamnesegespräch – Sturztrauma / Frakturverdacht (Notaufnahme)
Hinweis: Dieser Dialog simuliert ein typisches Gespräch in der Notaufnahme mit einem Patienten, der sich möglicherweise den Arm gebrochen hat. Ziel: realistische Arzt-Patienten-Kommunikation auf C1-Niveau.
Arzt: Guten Tag, ich bin Dr. Meier, Notarzt hier in der Klinik. Was ist genau passiert?
Patient: Ich bin vorhin von der Leiter gefallen, ungefähr zwei Meter hoch. Ich bin mit dem Arm zuerst aufgekommen, und jetzt tut er höllisch weh.
Arzt: Können Sie den Arm noch bewegen?
Patient: Nein, kaum. Jede Bewegung tut weh. Es ist auch sofort angeschwollen.
Arzt: Gab es einen direkten Aufprall oder sind Sie irgendwie abgefangen?
Patient: Ich wollte mich abstützen, aber der Arm ist weggeknickt.
Arzt: Haben Sie Schmerzen auch an anderen Stellen – Kopf, Rücken oder Beinen?
Patient: Nein, nur am Arm. Aber mir war kurz schwindlig nach dem Sturz.
Arzt: Gab es eine kurze Bewusstlosigkeit?
Patient: Nein, ich war die ganze Zeit wach, aber total benommen.
Arzt: Hatten Sie vorher schon einmal Probleme mit diesem Arm oder den Knochen allgemein?
Patient: Nein, bisher nie. Ich bin eigentlich fit, keine Vorerkrankungen.
Arzt: In Ordnung. Wir machen jetzt ein Röntgenbild und legen Ihnen eine Schiene zur Ruhigstellung. Danach entscheiden wir, ob operiert werden muss.
Patient: Muss das wirklich operiert werden?
Arzt: Das klären wir nach dem Röntgen. Bei Brüchen im Handgelenk oder Unterarm ist das manchmal notwendig, aber nicht immer. Sie bekommen gleich ein Schmerzmittel.
Zusatzinfo: In Traumafällen sind genaue Umfallmechanismen, Schmerzlokalisation und funktionelle Einschränkungen zentrale Aspekte des Gesprächs. Die klare Struktur und eine empathische Kommunikation sind wichtig für die FSP.
🩺 Fallbeschreibung: Thoraxschmerzen nach COVID-Infektion
Situation: Ein 27-jähriger Patient stellt sich in Ihrer hausärztlichen Praxis mit anhaltenden, belastungsabhängigen Brustschmerzen vor. Die Beschwerden bestehen seit etwa zwei Wochen. Der Patient berichtet, dass er vor etwa 6 Monaten an COVID-19 erkrankt war (PCR-positiv, ambulant behandelt, kein Krankenhausaufenthalt). Die Infektion verlief damals mit Fieber, Abgeschlagenheit und leichtem Husten.
Die aktuellen Schmerzen beschreibt er als stechend, v. a. bei tiefer Einatmung und körperlicher Belastung. Es bestehen keine Atemnot, kein Fieber und kein produktiver Husten. Keine Vorerkrankungen, keine Medikation. Nichtraucher. Körperlich aktiv, aber seit der Infektion fühlt er sich schneller erschöpft. EKG unauffällig, Puls normal, Sauerstoffsättigung 98 %.
📝 Testfragen mit Eingabefeldern
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Wie lange bestehen die aktuellen Beschwerden?
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Welche Symptome hatte der Patient während der COVID-Infektion?
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Welche Differenzialdiagnosen kommen bei belastungsabhängigen Thoraxschmerzen infrage?
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Welche weiteren Untersuchungen wären indiziert?
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Welche psychosozialen Faktoren könnten eine Rolle spielen?
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Multiple Choice: Was spricht gegen eine akute Pneumonie?
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Multiple Choice: Was wäre der nächste sinnvolle diagnostische Schritt?
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Welche Relevanz hat die Vorgeschichte für die aktuelle Symptomatik?
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Formulieren Sie zwei gezielte Rückfragen zur Anamnese.
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Wie würden Sie dem Patienten Ihre Verdachtsdiagnose erklären (Laiengerecht)?
📘 Lösungsvorschläge anzeigen
- 1: Seit etwa zwei Wochen
- 2: Fieber, Abgeschlagenheit, Husten
- 3: Myoperikarditis, Pleuritis, muskuläre Ursachen, psychosomatische Beschwerden
- 4: Thorax-Röntgen, Blutbild (CRP, Troponin), ggf. Echokardiographie
- 5: Post-COVID-Ängste, Stress, berufliche Belastung, soziale Isolation
- 6: Richtige Antworten: C) und D)
- 7: A) Thorax-Röntgen
- 8: COVID kann zu Spätfolgen führen, z. B. Myokarditis
- 9: z. B. „Treten die Schmerzen auch in Ruhe auf?“ / „Gab es ähnliche Beschwerden in der Vergangenheit?“
- 10: „Ihre Beschwerden deuten darauf hin, dass der Herzmuskel nach der Infektion möglicherweise gereizt ist. Das ist nicht gefährlich, sollte aber abgeklärt werden.“